Die Katzentasche meines Sohnes oder: Pubertät für Mütter
Es sind die Tage zwischen den Jahren. Ich nutze sie gern, um Liegengebliebenes zu erledigen. Ein wenig aufräumen, hier und da ein paar Kleinteile sortieren. Fühlt sich gut an, wenn es ordentlicher aussieht und ich das Gefühl bekomme, einen Überblick zu haben über das, was da auf mich wartet im nächsten Jahr.
Letztlich geht es vermutlich auch um das Gefühl von Kontrolle. Keine bösen Überraschungen bitte, zumindest nicht auf meinem Schreibtisch und in den Schubladen und Kruschelkisten (der Ausdruck scheint rheinländisch zu sein, in anderen Landesteilen sagt man auch Krimskramskisten dazu 😉).
In diesem Jahr habe ich zwischen Weihnachten und Silvester auch eine kleine Näharbeit erledigt. Gewissermaßen ein Nebenprodukt des Aufräumens. Da ist dieses Täschchen mit der aufgenähten Winke-Katze. Die Winke-Katze hat sich vom Täschchen gelöst, der Faden war nicht kräftig genug und die Naht ist im Lauf der Zeit aufgegangen.
Die Tasche gehört zu den Entrümpelungs-Aktivitäten von Tobias. Tobias ist unser Jüngster und in diesem Jahr ist er 15 geworden. Sein ehemaliges Kinderzimmer ist jetzt ein Jugendzimmer. Im Zuge der Zimmertransformation hat Tobias sich von allen möglichen Schätzen verabschiedet. Diese Katzentasche gehört auch dazu. „Die kann weg.“ Ein ganzer Satz. Für mich nicht machbar, zumindest noch nicht. Ich habe die Katzentasche vom Stapel der wegzuwerfenden Gegenstände hinübergerettet in meine Kruschelkiste. Nun liegt sie hier vor mir, und ich habe die abgelöste Winke-Katze mit Nadel und Faden wieder angebracht. Die Tasche ist also wieder repariert und einsatzfähig.
Hätte ich die Zeit auch anders nutzen können? Sicher ist das so. Je nachdem, wen man dazu befragen würde, bekäme man eine andere Empfehlung. Meine Schwiegermutter würde vermutlich den Kopf schütteln und sich im Stillen fragen, weshalb ich in der Zeit nicht das Bad aufgeräumt habe. Mein Mann würde vielleicht an das Eisfach denken… bereits im Sommer hatten wir den Vorsatz, es bald abzutauen. Der Unternehmerinnen-Anteil in mir hätte anstelle des Nähens eher etwas für die Jahresplanung getan oder sich mit der Buchhaltung befasst. Doch es geht hier nicht um die Frage der Nützlichkeit. Die Tasche ist schließlich auch nichts Nützliches, und die Betrachtung, ob sich das Nähen „gelohnt“ haben könnte, greift viel zu kurz. Diese Tasche ist nämlich nicht nur eine Tasche. Für mich als Mama ist sie ein Schatz. Unbezahlbar, wertvoll.
Was hat es mit diesem Schatz auf sich? Tobias hat sich die Katzentasche gekauft, als er acht Jahre alt war. Jung genug, um sich für das Herzige der Tasche zu erwärmen. Und noch nicht zu alt, um sie etwa uncool oder kindisch zu finden. Okay, wir waren außerdem im Urlaub, als er die Tasche in einem Asien-Shop entdeckt hat. Fern genug der Heimat und ohne Risiko, beim Kauf von eventuellen Mitschülern oder dem besten Freund kritisch beäugt zu werden. Mag sein, dass das die Kaufentscheidung für meinen Sohn erleichtert hat. Was mich anrührt ist die Tatsache, dass er diese Tasche schön fand. Das dezente Blumenmuster. Die Farbe. Und diese Winke-Katze, mit ihren geschlossenen Augen und dem silbernen Glöckchen am Hals.
Heute ist Tobias fast 16 Jahre alt. Das bunte Chaos im Kinderzimmer ist einer aufgeräumten Klarheit mit weiß getünchten Wänden und ausgesucht schlichtem Mobiliar gewichen. Sein offenes Herz hat mein Sohn gut verborgen hinter einer Fassade aus Coolness und schwarzen Sweat-Hoodies eines amerikanischen Sportlabels. Eine kleine Stofftasche mit einer Katze darauf würde Tobias heute nicht mehr kaufen. Sie darf nicht einmal mehr in seiner Kruschelkiste wohnen.
Manchmal sehe ich das, was hinter der Fassade sicher verborgen ist, kurz aufblitzen. Wenn der Kater der Nachbarn um Tobias´ Beine streicht oder befreundete Eltern ihr Baby mitbringen, geht für einen Moment der Vorhang auf. Ein warmes Leuchten in seinen Augen. Ein Lächeln, das man sogar als zärtlich beschreiben könnte. Dann bin ich gerührt und mein Herz macht einen Hüpfer vor Freude. Da ist es ja wieder! Da ist er ja noch! Die Tür der Zeit verschwimmt für einen Moment. Die Jahre lösen sich auf wie ein Nebel, der Schatten der Coolness verblasst. Ein Moment, so flüchtig wie kostbar. Ja, ich stehe dazu: Ich vermisse diesen offenherzigen Teil meines Sohnes. Und ich respektiere zugleich, dass er sich jetzt bewusst entscheidet, mit wem er seine Gefühle teilen mag und mit wem nicht. Das gehört zum Loslassen dazu, für ihn, für mich als Mutter, für uns als Eltern. Ein zentraler Entwicklungsauftrag dieser Phase, die Pubertät genannt wird.
Ich schaue auf die Tasche mit der Winkekatze, meine Hände auf dem Stoff mit den gelben Blumen. Nein, diese Tasche ist nicht einfach nur eine Tasche. Sie ist der Geheimgang zu einer Erinnerung, die mich mit meinem eigenen Herzen verbindet. Mein Zugang zu diesem zärtlichen Kinderherz, das mir selbst das Herz geöffnet hat. Es schlägt weiter, es ist noch da. Und ich bleibe mit ihm verbunden.